Warum Männer so gern grillen

Die Geschichte eines absurden Unfalls der Menschheitsgeschichte.

Unsere Herrschaft über das Feuer geht zurück auf graue Vorzeit und ist eine so bedeutsame Wendung in der Geschichte der Menschheit, dass unzählige Mythen und Theorien darüber existieren. Manche davon sind völlig beknackt – und zwar nicht nur die aus uralten Tagen. Da gibt es zum Beispiel die These Sigmund Freuds, die er in einer Fußnote von Das Unbehagen in der Kultur erläutert: Darin führt er die Herrschaft über das Feuer auf den schicksalhaften Augenblick zurück, als der Mensch – und damit ist in diesem Fall zweifelsohne ein Mann gemeint – zum ersten Mal den Drang besiegte, jedes Feuer, dessen er ansichtig wurde, zu löschen, indem er es auspinkelte. Über Jahrtausende hinweg war es anscheinend unmöglich gewesen, diesen Drang zu unterdrücken, so Freud, sehr zum Nachteil der menschlichen Zivilisation, die erst aufblühen konnte, als dies gelungen war. Da Frauen nachvollziehbare Schwierigkeiten haben, den eigenen Urinstrahl zur Feuerbekämpfung einzusetzen, wurde diese Beschäftigung zu einer wichtigen Form männlichen Wettbewerbs, die laut Freud – was keine Überraschung ist – homoerotisch geprägt war. Das Kochen über offenem Feuer ist heute noch eine Domäne, in der Männer miteinander konkurrieren, und diejenigen unter uns, die sich diesem Wettbewerb stellen, sollten sich glücklich schätzen, dass Freud nicht mehr unter uns weilt, um uns mit einer Deutung dessen zu behelligen, was genau uns dabei antreibt.

Der Lauf der Menschheitsgeschichte änderte sich an jenem schicksalhaften Tag, als es einem wackeren Mann, gesegnet mit unerhörter Selbstdisziplin, dämmerte, dass er nicht zwingend ins Feuer pinkeln musste, sondern die Flammen stattdessen lieber nähren und für einen sinnvollen Zweck nutzen könnte: um sich daran zu wärmen etwa oder sogar, um sein Abendessen darauf zu braten. Freud war der Überzeugung, dass dieser Fortschritt – wie viele andere wertvolle Errungenschaften der Zivilisation – der einzigartigen Fähigkeit des Menschen geschuldet war, Begierden und Triebe zu steuern oder zu unterdrücken, denen andere Tiere hilflos ausgeliefert sind. (Nicht, dass viel darüber berichtet wird, wie Tiere ein Feuer mit ihrem Urin gelöscht hätten.) Für ihn ist die Beherrschung des Selbst die Voraussetzung für die Herrschaft über das Feuer. »Diese große kulturelle Eroberung wäre also der Lohn für einen Triebverzicht«, schreibt Freud.

In all den langen Stunden, die ich bis heute mit Grillmeistern vor glimmenden Holzscheiten verbracht habe, habe ich kein einziges Mal Freuds Feuerthese aufs Tapet gebracht. Ich bin mir nicht sicher, ob sie gut ankäme. Hin und wieder habe ich allerdings eine zweite Theorie erwähnt, die zwar ähnlich obskur ist, aber einen zarten Schein poetischer Wahrheit besitzt, der gewöhnlich ein Lächeln auf das schweißgebadete Antlitz eines echten Grillators zaubert.

Meistgelesen diese Woche:

Diese These propagiert der englische Schriftsteller Charles Lamb (1775–1834) in seiner Schrift Eine Abhandlung über Schweinebraten. Lamb behauptet dort, dass Fleisch immer nur roh verzehrt wurde, bis in China ein junger Mann namens Bo-bo, der Sohn des Schweinehirten Ho-ti, durch Zufall die Grillkunst entdeckte. Eines Tages, während Ho-ti gerade Eichelmast für seine Schweine sammelte, fackelte sein Sohn, »ein ziemlicher Tölpel«, der gern zündelte, aus Versehen die Familienhütte ab und einen Wurf Ferkel gleich mit. Während er sich die rauchenden Trümmer besah und überlegte, wie er das dem Vater beichten sollte, »stieg ihm ein Duft in die Nase, der mit nichts zu vergleichen war, was er je zuvor gerochen hatte«. Als Bo-bo eines der verkohlten Ferkel auf Lebenszeichen abtasten wollte, versengte er sich die Finger und schob sie sich instinktiv in den Mund.

»An seinen Fingern waren ein paar Bröckchen der versengten Schweinehaut kleben geblieben, und zum ersten Mal in seinem Leben (ja, sogar im Leben der gesamten Menschheit, da kein Mensch vor ihm dies erfahren hatte) kostete er – eine Bratenkruste!«

So erblickte nun Bo-bos Vater bei seiner Rückkehr die Trümmer seiner Hütte, und davor seinen Sohn, wie er sich mit den Kadavern der toten Ferkel den Bauch vollschlug. Beim Anblick dieses Gemetzels wurde Ho-ti erst einmal schlecht, bis ihm der Sohn zurief, »wie gut die verbrannten Ferkel doch schmeckten«. Angetan von dem außergewöhnlichen Aroma probierte auch Ho-ti von der Kruste und fand sie sagenhaft köstlich. Vater und Sohn beschlossen daraufhin, den Nachbarn, deren Missbilligung sie fürchteten, ihre Entdeckung zu verheimlichen; eine Kreatur Gottes zu verbrennen hieß am Ende doch auch zu behaupten, sie sei in rohem Zustand nicht perfekt. Doch mit der Zeit »machten seltsame Geschichten die Runde. Man beobachtete, dass Ho-tis Hütte noch häufiger als sonst niederbrannte. Von nun an brannte es unaufhörlich … Sobald die Sau Ferkel warf, stand kurz darauf das Haus Ho-tis in Flammen.«

Am Ende kam ihr Geheimnis dann doch heraus. Sogleich versuchten sich die Nachbarn an der Methode und waren vom Resultat begeistert; das Beispiel machte Schule. Die Sitte, Häuser niederzubrennen, um den Geschmack von Ferkeln zu verbessern, griff sogar so stark um sich, dass die Leute sich bald sorgten, der Welt könnten Baukunst und Architektur abhandenkommen. (»Von Tag zu Tag bauten die Leute ihre Häuser immer sparsamer«, berichtet uns Lamb, und »nun sah man in jeder Himmelsrichtung nur noch Flammen lodern.«) Zum Glück fand ein klügerer Mensch irgendwann heraus, dass man Schweinefleisch auch braten könnte, »ohne notwendigerweise ein ganzes Haus für die Zubereitung zu opfern«. Bald darauf erfand man den Bratrost und im Anschluss daran den Bratspieß. Und so eignete sich die Menschheit buchstäblich aus Versehen die Fertigkeit an, Fleisch über offenem Feuer zuzubereiten. Präziser ausgedrückt: über offenem Feuer, das sie in Schach hielten.

Aus dem Amerikanischen von Stephan Klapdor

Illustration: Damien Florébert Cuypers