Einen Kaffee für die Spezialbestellerin, bitte

Entkoffeinierter Kaffee mit Hafermilch - bleibt da überhaupt noch was übrig von der Idee eines Cappuccino? Aber natürlich: Warum ein bisschen Extragvaganz beim Konsum ein Akt der Emanzipation ist.

Foto: Erli Grünzweil

Im Café kann ich fast jedes Mal dieses kleine Wundern sehen, wenn ich meine Bestellung aufgebe: entkoffeinierter Cappuccino mit Hafermilch. Ich glaube, ich weiß, was die Gegenüber denken. Was bleibt denn da noch übrig von der Idee Cappuccino? Etwa so, als mache man Italienurlaub, aber in Dänemark. Ein Kaffee ohne Koffein, das klingt für viele mehr so wie Milch mit Honig als nach einem erwachsenen Morgenstart. Sie misstrauen dem Konstrukt: Mag sein, dass es aussieht wie ein Kaffee, warm gemacht, aufgeschäumt, hellbraun und flüssig, in einer Tasse dargeboten – aber am Ende ist es doch nur die Summe aus Ersatzprodukten. Das sagt der Blick.

Dabei sind Substitute überall. Leute fangen ja nicht an, E-Zigarette zu rauchen, sie kommen dazu, weil sie weniger echte Zigaretten rauchen wollen. Ein Elektroauto ersetzt den Benziner. Kuhmilch wird durch Mandelmilch ersetzt. Vibratoren sind in großer Mehrzahl phallisch. Man kauft die Wurst vegan. Statt Zucker gibt’s Süßstoff. Agavendicksaft ersetzt den Honig. Viele Leute beenden schlechte Liebesbeziehungen nur, wenn sie jemand Neuen haben. Und Mönche aßen früher Biber während der Fastenzeit, in der Fleisch eigentlich verboten ist (Fisch aber erlaubt, und die Biber kamen immerhin auch aus dem Wasser). Hostie und Wein sind metaphorisch aufgeladene Ersatzprodukte. Kurz: Es ist nicht unüblich, auf etwas auszuweichen.

Aber beim Cappuccino ist es irgendwie anders. Ich merke das ja selbst. Es kommt mir schwerer über die Lippen, als dass ich ein paar vegane Wiener in den Einkaufskorb lege. In vielen Fällen ist die Substitution geplant und fester Teil der Strategie. Durch den Ersatz wird der Konsum gesünder, günstiger, nachhaltiger, zugänglicher. Beim Kaffee, so scheint es, wird er einfach nur sinnlos. Der Markenkern fällt weg: Koffein. In meinem Lieblingscafé sagt der Kellner manchmal Spezialkaffee, wenn er mein Getränk zum Tisch bringt. Und ich glaube, er meint damit: Kaffee für eine Spezialbestellerin.

Meistgelesen diese Woche:

Ich sehe die Extravaganz der Extrawurst, ich verstehe die Wirkung, aber ich schäme mich nicht mehr

Ich verstehe ihn. Ich kenne auch Leute, die ständig Dinge anders haben wollen, als sie auf der Karte stehen. »Ich hätte gern die Wiener mit Kartoffelsalat, aber können Sie den Salat bisschen anwärmen, ich krieg Bauchweh von so ganz kalt, und lieber mit Spiegelei statt Wiener, wenn das geht.« Also eigentlich wollen sie Spiegelei mit Salz-kartoffeln. Je mehr man sich in Großstädten mit Individualzwang herumtreibt, desto stärker bekommt man den Eindruck, manche erzählen einfach gern von sich. Und sei es nur, was sie nicht verdauen können. Da wünscht man sich doch das minimalinvasive Motto-T-Shirt aus den Neunzigern zurück.

Bei mir ist es selbstverständlich ganz anders: Ich werde von Koffein hibbelig. Ich bin regelrecht befreit von jeder inneren Unruhe, einfach seit ich sie morgens nicht mehr in mich reinschütte. Ich sehe die Extravaganz der Extrawurst, ich verstehe die Wirkung, aber ich schäme mich nicht mehr. Weil ich vierzig Jahre lang ein gastronomischer people pleaser war, eine Person, der es peinlich ist, etwas nicht zu essen, und aus Angst, als kompliziert zu gelten, habe ich alles verdrückt: Pferd, Frosch, Krokodil, Piroggen mit noch roher Fleischfüllung, Milchreis mit Haut, Knorpel in der Lasagne. Ich lasse nichts zurückgehen und lüge seit Jahrzehnten freundlich: »Es war sehr lecker, nur zu viel.« Kurz: Ich gönne mir nun einen Kaffee ohne Sinn und Grund, obwohl die Bestellung komplizierter aufzusagen und komplizierter herzurichten ist – nach dem Spezialkaffee muss in manchen Cafés erst mal gesucht werden.

Ich sollte mir ein T-Shirt drucken lassen: »Mein koffeinfreier Kaffee ist keine übliche Extrawurst, sondern das Ergebnis einer Emanzipation. Sprechen Sie mich gerne darauf an!«