»Es liegt bei Weitem nicht nur an mangelnder Disziplin«

Dicke Menschen werden beschimpft, bemitleidet und selbst von den Krankenkassen stigmatisiert, sagt die Ärztin Victoria Witt. Im Interview spricht sie über Essen als Trost, die vielen Ursachen für Übergewicht – und die Frage, warum es oft so wahnsinnig schwierig ist, abzunehmen.

Dr. med Victoria Witt ist Fachärztin für Neurologie und Psychatrie/Psychotherapie. Außerdem hat sie einen Masterabschluss im Bereich Public Health (öffentliche Gesundheit). Sie hat auf verschiedenen beruflichen Stationen von Adipositas Betroffene behandelt und beraten und vor Kurzem einen Ratgeber zum Thema veröffentlicht: Meine Adipositas-OP. Magenverkleinerung, Magenband, Bypass & Co. (Trias Verlag).

Foto: Miriam Wagner - I AM MIA

Die meisten Menschen dürften wissen, dass mit Adipositas ein Zustand starken Übergewichts gemeint ist. Aber wie sieht der genaue medizinische Rahmen des Begriffs aus? Ist Adipositas eine Krankheit und wenn nicht, was dann?
Dr. Victoria Witt: Man betrachtet Adipositas heute gleichermaßen als eigenständige Erkrankung und als Risikofaktor für andere Erkrankungen. Nicht jeder Mensch mit Übergewicht würde schließlich von sich sagen, dass er oder sie krank sei. Es gibt ein Zeitfenster, wo man adipös sein kann, also stark übergewichtig, aber noch keine Krankheitsfolgen verspürt, zum Beispiel den Stoffwechsel oder das Herz-Kreislauf-System betreffend. Studien zeigen allerdings, dass dieses Zeitfenster relativ klein ist. Die Weltgesundheitsorganisation hat Adipositas deshalb schon im Jahr 2000 in einem Grundsatzpapier als Erkrankung klassifiziert, in Deutschland ist diese Anerkennung inzwischen auch erfolgt.