Das Geschäft mit dem Flausch

Ob im Zoo oder im Internet: Von niedlichen und lustigen Tieren kann keiner genug bekommen. Wir sollten aufhören, uns einzureden, das habe irgendetwas mit Tierliebe zu tun.

Eisbär Knut, Ikone aller verklärten Tiere, ist heute ausgestopft im Naturkundemuseum Berlin zu sehen.

Foto: dpa

Frischgebackene Mütter haben es mitunter schwer. Und eine von ihnen verdient dieser Tage ganz besonders unser Mitgefühl: Tonja, die Eisbärin aus dem Berliner Tierpark. So wie es in Berlin inzwischen ein jährliches Ritual geworden ist, den Eröffnungstermin des Flughafens BER zu verschieben, so gehört die Meldung über ein neugeborenes Eisbärenbaby fest zu den Höhepunkten des Jahres in der sonst mit Erfolgsmeldungen nicht unbedingt verwöhnten Hauptstadt.

Tonja hat uns in der Vorweihnachtszeit also mit feinstem Flausch beschenkt: Einem Eisbärenbaby, geboren am 1. Dezember. Es ist bereits ihr dritter Wurf, in den Jahren zuvor war Tonja unter großer Anteilnahme der Berliner Öffentlichkeit schon zweimal Mutter geworden, allerdings starben beide Jungtiere wenige Wochen nach ihrer Geburt. Nicht unüblich bei Eisbären, die Überlebensrate von Jungtieren liegt im ersten Jahr sowohl in der Natur als auch in Gefangenschaft bei etwa 50 Prozent. Trotzdem gibt der Berliner Tierpark Pressemitteilungen heraus, in denen Tonja die vorbildliche Erfüllung ihrer Mutterpflichten bestätigt wird. Die Merchandise-Maschinerie steht in den Startlöchern, das Berliner Stadtmarketing reibt sich wohl schon erwartungsvoll die Hände. Jetzt muss es doch bitte mal klappen, die Sache mit dem Bärennachwuchs. Noch einmal den Zauber von Knut (*2006 - † 2011) neu aufleben lassen, jenem Eisbärenjungen, der von seinem Pfleger mit der Flasche aufgezogen wurde und dem Berliner Zoo Besucherrekorde einbrachte, selbst dann noch, als er gar nicht mehr so tapsig und niedlich sondern ein sichtlich verhaltensauffälliger ausgewachsener Eisbär geworden war.

Dass es auch bei bestem Willen unmöglich ist, Eisbären in Gefangenschaft artgerecht zu halten, dass es eine ganze Menge Gründe gibt, die gegen ihre Zucht sprechen, ist das eine. Wie leicht sich das Publikum mit süßen Knuddelfotos davon ablenken lässt, ist das andere. Da kann man sich die Sache noch so sehr damit schönreden, dass Zoos die Menschen für Naturschutz sensibilisieren und die Zucht auch der Arterhaltung dienen soll: Zu allererst sind Zoos Wirtschaftsunternehmen, die Tierbabys produzieren, weil die nun mal Besucher anlocken. Und zwar je zoo-untauglicher, desto mehr.

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Es sind ja leider nicht die Warzenschweinferkel oder die Chamäleonjungen, die für besonderes Entzücken sorgen, sondern die kleinen Elefanten- und Nashornbabys, die Großkatzen- und Bärenjungen, der Menschenaffennachwuchs. Alles Tiere, die wir im Zoo begeistert anschmachten, während wir an ihrer Ausrottung außerhalb des Zoos mit unserem Konsumverhalten kräftig mitwirken.

Nicht nur, weil beispielsweise unser Hunger nach Palmölprodukten die Orang Utans gefährdet, deren natürlicher Lebensraum für immer mehr Palmölplantagen weichen muss. Oder weil der Klimawandel dem Eisbären die Jagdgründe zerstört. Sondern auch, weil wir gar nicht genug Flauschcontent bekommen können und im Internet nichts so gute Klickzahlen erzielt wie ein putziges Tierbaby. Am besten wenn man damit eine Geschichte erzählen kann, die der Zuschauer direkt auf sich bezieht. Etwa der rührende Clip eines Braunbärenjungen, der an einem steilen, schneebedeckten Abhang immer wieder abrutscht, während seine Braunbärenmutter hilflos zusieht. Ein Mutter-Kind-Drama, bei dem wir alle mitfühlen können, also drücken wir dem kleinen Bärchen ganz feste die Daumen und am Ende schafft er es dann doch, den Abhang zu erklimmen und wir teilen das Video auf Facebook, Twitter und Instagram als ein schönes Beispiel dafür, dass man alles erreichen kann, wenn man nicht aufgibt und an sich selber glaubt.

Dass die Szene überhaupt nur entstanden ist, weil ein Kameramann mit seiner Drohne viel zu nah an die Bärin und ihr Junges herangeflogen ist, beide Tiere also auf der Jagd nach gutem Filmmaterial wissentlich in Gefahr gebracht hat, ist die Seite der Geschichte, die wir gern verdrängen. Genau wie das als »Shower Rat« berühmt gewordene peruanische Nagetier, das sich scheinbar unter einem Wasserstrahl duscht und richtig schön mit Schaum einseift, so als sei es gerade bei der Morgentoilette und würde gleich in seinen kleinen Rattenanzug schlüpfen und in sein Rattenbüro gehen. Millionenfach geklickt und geteilt, weil es uns besonders anrührt, wenn Tiere sich scheinbar menschlich verhalten. Nur leider handelt es sich hier gar nicht um eine genüsslich duschende Ratte, sondern um ein Tier, dass irgendein Idiot für ein bisschen Internet-Ruhm in Seife getaucht hat und das nun verzweifelt versucht, sich das augen- und hautreizende Zeug aus dem Pelz zu waschen.

Weil wir Menschen egozentrische Wesen sind, fällt es uns schwer, von uns selbst zu abstrahieren. Wenn uns tierisches Verhalten besonders niedlich vorkommt, interpretieren wir es als ein Zeichen von Wohlbefinden. Weil wir gern flauschige Lebewesen streicheln, glauben wir, dass sie auch gern von uns gestreichelt werden möchten. Es gibt unendlich viele Filmchen von süßen Zwergloris, die scheinbar genüsslich die Ärmchen heben, während sie am Bauch gekitzelt werden. Eigentlich handelt es sich dabei um Foltervideos, denn die nachtaktiven Primaten mit den großen Augen hassen es, gekitzelt zu werden und die erhobenen Ärmchen sind der Versuch, sich zu wehren.

Homevideos von Zwergottern und Weißbauchigeln sind aktuell echtes Internetgold, dabei handelt es sich bei beiden um Wildtiere, die ganz sicher nicht als Haustiere geeignet sind. Und ist es wirklich so wahnsinnig komisch, seine eigene, doch angeblich so geliebte Katze mit einer Salatgurke zu Tode zu erschrecken, weil das Video davon so großen LOL-Faktor hat? Oder seinen Hund in ein Halloweenkostüm zu stecken, das ihn nicht nur albern aussehen lässt, sondern ihm die Ohren bedeckt und am normalen Bewegungsablauf hindert, für die vage Hoffnung, in irgendeiner Bilderstrecke zu landen?

Die Berliner Eisbärenmutter Tonja darf mit ihrem Nachwuchs noch ein bisschen in ihrer Höhle bleiben, ständig beobachtet von Kameras zwar, aber wenigstens ohne direkten Menschenkontakt. Wenn ihr Baby überlebt, wird es ein echter Kinderstar werden, geliebt, verklärt und optimal vermarktet. Und wenn es stirbt, muss Tonja eben noch mal ran und ein neues Baby produzieren. Je mehr und je länger sich die Berlinerinnen und Berliner mit flauschigen Eisbärbabybildern beschäftigen können, umso länger können sie verdrängen, dass in ihrer Stadt immer noch jeden Tag mehr als eine Million Euro in einer Flughafenbaustelle versanden.